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Über den Seelenkalender

Aufbau des Seelenkalenders

Der von Rudolf Steiner verfasste Anthroposophische Seelenkalender hat 52 Wochensprüche. Er wurde 1912 innerhalb eines Kalenders 1912/13 zum ersten Mal veröffentlicht. Dort, wie in der Originalhandschrift, die erst 1959 in einem Nachlass wieder zum Vorschein kam, waren die Wochensprüche nummeriert und mit Überschriften und Großbuchstaben versehen. Auch die aktuellen Ausgaben verwenden in der Regel Nummern, Überschriften und Großbuchstaben für die Wochensprüche – wenn auch nicht einheitlich (dazu unten ausführlicher).

Der Kalender begann mit dem Ostersonntag, der ja ein beweglicher Festtag ist. Zur Frage dieser Datenverschiebung von Jahr zu Jahr sagte Rudolf Steiner: die Hauptsache sei, dass immer mit der ersten Strophe zu Ostern begonnen werde. Die Verschiebung habe nicht viel zu bedeuten, da er immer drei Strophen der Wochensprüche in der gleichen Stimmung gehalten habe. (Brief Johanna Mückes vom 12. April 1938 an Marie Steiner, zitiert nach: Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Der Anthroposophische Seelenkalender und der Kalender 1912/1913, Nr. 37/38, Frühjahr/Sommer 1972, S. 4.)

Gliederung des Seelenkalenders

Wie ist der Seelenkalender gegliedert?

  • Es gibt 52 Wochensprüche.
  • Überschriften tragen nur folgende Wochensprüche bzw. Abschnitte (wiedergegeben nach der Handschrift und mit späteren Ergänzungen aus den Druckauflagen):
    • Mit der Überschrift Frühling (in der Handschrift doppelt unterstrichen) beginnt der Seelenkalender.
    • Spruch 1 (A) unmittelbar ist mit Oster-Stimmung überschrieben.
    • Johannes-Stimmung steht vor Spruch 12.
    • Sommer (doppelt unterstrichen) vor Spruch 14,
    • nochmals Sommer. (auch doppelt unterstrichen und mit abschließendem Punkt) vor Spruch 18;
      zu der Dopplung des Begriffs „Sommer“ siehe diesen Beitrag;
    • Michali-Stimmung (einfach unterstrichen) vor Spruch 26; es steht dort tatsächlich „Michali“, nicht Michaeli,
    • HERBST vor Spruch 27 (nicht in der Handschrift),
    • WINTER vor Spruch 37 (nicht in der Handschrift),
    • Weihe-Nacht-Stimmung vor Spruch 38 (in der Handschrift einfach unterstrichen) und
    • Frühling-Erwartung vor Spruch 51 (in der Handschrift einfach unterstrichen).
  • Die Wochensprüche sind in der Handschrift (mit zwei Ausnahmen, dazu unten mehr) und auch in aktuellen Ausgaben (ebenfalls uneinheitlich) mit Buchstaben bezeichnet. Spruch 1 hat den Buchstaben A, Spruch 2 das B usw. Nach dem Buchstaben Z (Spruch 26), beginnt mit dem 27. Spruch der Lauf des Alphabets neu, wobei das A mit einem Überstrich versehen ist. Aus technischen Gründen wird hier anstelle des Überstrichs ein seitlicher Strich gewählt (A‘ – gestrichenes A). Auf das gestrichene A folgt das B‘ usw.
  • Aus dem Inhalt der Wochensprüche lässt sich erkennen, dass die Sprüche einander zugeordnet sind. Mit dem aktuellen Wochenspruch klingen drei weitere Sprüche zusammen. Diese werden oft wie folgt bezeichnet: Jeder Wochenspruch hat einen inhaltlich polaren Spiegelspruch und einen Gegenspruch. Da der Gegenspruch selber ebenfalls einen Spiegelspruch aufweist, kommt man auf vier zusammenklingende Sprüche.

Im Blog werden an jedem Samstag die ab Sonntag zu lesenden vier zusammengehörenden Sprüche veröffentlicht.

Unterschiede in den Seelenkalender-Ausgaben

1959 wurde die Originalhandschrift des Seelenkalenders in einem Nachlass entdeckt. Ein Faksimile dieser Handschrift ist in den Beiträgen zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe Nr. 37/38 (a.a.O.) veröffentlicht. Hier beispielhaft der Wochenspruch für die achtzehnte Woche als Auszug daraus:

Aus dem Faksimile der Originalhandschrift Rudolf Steiners – Spruch der achtzehnten Woche (siehe auch die doppelt unterstrichene Überschrift „Sommer“ und den Großbuchstaben R), Quelle: Beiträge Nr. 37/38 (a.a.O.)

Wie bereits erwähnt, ist die Buchstabenzuordnung in den aktuellen Veröffentlichungen des Seelenkalenders nicht einheitlich. Mir war dies zunächst gar nicht aufgefallen, da ich jeweils nur mit einer Ausgabe gearbeitet hatte, ohne sie zu vergleichen.

Der Unterschied wird deutlich, wenn man die von Michael Debus erstmals 1998 herausgegebene Sonderausgabe des Seelenkalenders

Rudolf Steiner, Die Wochensprüche des anthroposophischen Seelenkalenders im Doppelstrom der Zeit beider Hemisphären, mit einem Nachwort herausgegeben von Michael Debus, 2. Auflage, Dornach/Schweiz 2000

mit der 1977 neu aufgelegten Einzelausgabe vergleicht (im Folgenden als „Standardausgabe“ bezeichnet und hier zitiert nach der Ausgabe Dornach/Schweiz 1984).

Abweichende Buchstabenfolge

In der Sonderausgabe ist jeder Spruch mit einem Buchstaben versehen. Es gibt keinen Buchstaben J, aber nach dem Buchstaben S zusätzlich den Doppellaut St.

In der Standardausgabe, die der Handschrift folgt, sind zwei Sprüche ohne Buchstaben: der zwölfte Spruch mit der Überschrift „Johannes-Stimmung“ und der 51. Wochenspruch mit der Überschrift „Frühling-Erwartung“. Außerdem fehlt die zweimalige Ergänzung des St.

Daher sind ab der zwölften Woche die Zuordnungen der Buchstaben zu den Sprüchen in den beiden Textausgaben nicht mehr gleich. Dies ändert sich erst wieder ab Spruch 20, da die Sonderausgabe durch die Einfügung des Doppellautes St gleichsam „wieder aufholt“.

Die zweite Abweichung beginnt bei Spruch 45, da bei diesem in der Sonderausgabe ebenfalls das St‘ eingefügt wurde, während der Spruch in der Standardausgabe bereits das T‘ trägt. Erst der 52. Wochenspruch ist wieder gleich (Z‘). Denn in der Standardausgabe ist der 51. Wochenspruch mit der Überschrift „Frühling-Erwartung“ ohne Buchstabe, während ihm in der Sonderausgabe das Y‘ zugeordnet ist.

In einer Übersicht dargestellt ergibt sich folgendes Bild (die Gegenüberstellung wird auf dem Mobiltelefon nur sichtbar, wenn man den Bildschirm quer hält):

Standardausgabe

Sonderausgabe (Abweichungen von der Standardausgabe in fett/ kursiv)

  • Sprüche 1 – 11: A – L
  • Spruch 12: ohne Buchstaben
  • Sprüche 13 – 26: M – Z
  • Sprüche 27 – 50: A‘ – Y‘
  • Spruch 51: ohne Buchstaben
  • Spruch 52: Z‘


  • Sprüche 1 – 11: A – L
  • Spruch 12: M
  • Sprüche 13 – 19: N – St
  • Sprüche 20 – 26: T – Z
  • Sprüche 27 – 44: A‘ – S‘
  • Spruch 45: St‘
  • Sprüche 46 – 50: T‘ – X‘
  • Spruch 51: Y‘
  • Spruch 52: Z‘

Hintergrund dieser verschiedenen Buchstabenzuordnungen dürfte sein, dass Rudolf Steiner, der am 30. März 1925 starb, noch vor seinem Tod ein Probeexemplar des wenige Wochen nach seinem Tode erschienenen Drucks vorgelegt wurde, der das M bei der Zahl 12 vorsah (und in der das Alphabet durch die Einfügung des Doppellautes St von 25 auf 26 Buchstaben erweitert wurde). (Siehe hierzu die Darstellung bei Kaspar Appenzeller, Der anthroposophische Seelenkalender im Lichte der Menschheitsentwicklung, Basel 1999, S. 377 ff. Appenzeller gibt auch eine Erklärung dafür, dass Rudolf Steiner dies nicht korrigierte.)

Dieser Ausgabe folgen seitdem viele Publikationen des Seelenkalenders, sicherlich in der Überzeugung, dass sie dem Publikationswillen Rudolf Steiners entspricht. Dies trifft neben der Sonderausgabe auch auf die Verwendung der Sprüche in Karl Königs „Anleitungen zum Seelenkalender“ zu. (Karl König, Anleitungen zum Seelenkalender, Der Anthroposophische Seelenkalender als innerer Wandlungsweg, herausgegeben von Richard Steel, Stuttgart 2009)

Die Standardausgabe und andere Ausgaben orientieren sich demgegenüber an der 1959 aufgetauchten Originalhandschrift (allerdings ohne ihr akribisch zu folgen; insbesondere werden Satzzeichen an manchen Versenden eingefügt, an denen die Handschrift keine aufweist).

Diese Seite wird bei der Veröffentlichung der Sprüche sowohl die Unterschiede bei der Zuordnung der Buchstaben als auch bei den Überschriften berücksichtigen und so dem Leser die Wahl lassen und die Möglichkeit des Vergleichs geben.

Die Buchstabenzuordnung in der Debus-Ausgabe

Aus der beschriebenen Buchstabenzuordnung ergeben sich bei Michael Debus (und bei anderen Autoren) Konsequenzen im Hinblick auf das Zusammenwirken der Sprüche.

Die oben beschriebene Buchstabenzuordnung – die zweimalige Durchnummerierung von A bis Z unter Einfügung des St – führt dazu, dass die Nummern dieser Sprüche immer die Differenz 26 haben. Die so einander zugeordneten Sprüche werden bei Debus als Wochenspruch und Gegenspruch bezeichnet.

Polaritäten und Verbindungen

Die zweite Zuordnung von Sprüchen zueinander erkennt man nicht unmittelbar an einem äußeren Merkmal, sondern am Inhalt. So beginnt zum Beispiel Spruch 1 mit den Worten: „Wenn aus den Weltenweiten – Die Sonne spricht zum Menschensinn“. Spruch 52 beginnt: „Wenn aus den Seelentiefen – Der Geist sich wendet zu dem Weltensein“ Spruch 2 beginnt: „Ins Äußre des Sinnesalls – Verliert Gedankenmacht ihr Eigen sein“ Spruch 51 wiederum beginnt mit den Worten: „Ins Innre des Menschenwesens – Ergießt der Sinne Reichtum sich“

Eine sprachlich-inhaltliche und auch rhythmische Ähnlichkeit wird hier sichtbar (auch bei den nicht zitierten Zeilen). Gleichzeitig zeigt sich eine Polarität, u.a. in Form eines Richtungswechsels (wer spricht bzw. wendet sich zu wem). Diese Ähnlichkeit und Polarität kann man auch bei den Sprüchen 3 und 50, 4 und 49, 5 und 48 usw. entdecken. Die Summe der Nummern dieser polaren Sprüche ist immer 53.

Die Sprüche als Vierergruppen

Durch die Verwendung gleicher Buchstaben und die polare und inhaltliche Aufeinander-Bezogenheit bestimmter Sprüche ergibt sich nach der Sonderausgabe, dass jeweils vier Sprüche einander zugeordnet werden können. Am Beispiel von Spruch 1:

  • Der Wochenspruch, hier also der Spruch der Oster-Stimmung (1/A) ab Ostersonntag.
  • Der Spruch mit dem gleichen gestrichenen Buchstaben der auch als Gegenspruch bezeichnet wird; im Beispiel der mit HERBST überschriebene Spruch 27 (A‘). Die Nummern von Spruch und Gegenspruch haben immer die Differenz 26.
  • Der dem Wochenspruch inhaltlich polare Spruch, bei dessen Addition sich der Zahlenwert 53 ergibt. Diesen Spruch nennt man auch Spiegelspruch. Im Beispiel ist es Spruch 52 (Z‘).
  • Aber auch der Gegenspruch (hier 27/ A‘) hat seinen Spiegelspruch. Im Beispiel ist dies Spruch 26 (Z).

Michael Debus hat dieses Bezogensein als Kreisform dargestellt, mit deren Hilfe die Zusammengehörigkeit der vier Sprüche gut ablesbar ist.

Die Zeichnung von Michael Debus dazu:

Die Zusammengehörigkeit der vier Sprüche in der Kreisform nach Michael Debus

Im Jahreskreis der 52 Sprüche ergeben sich 13 verschiedengestaltige Rechtecke, jeweils eine bestimmte Gruppierung der Sprüche darstellend.“ Zu dem eingezeichneten Beispiel schreibt Debus weiter: „Der normale Spruch (hier Nr. 6) ist auf der linken Seite oben. Links unten steht der Spiegelspruch (Nr. 47) … Die Spiegelung der Sprüche geschieht an der waagerechten Achse. … Der im Kreis diagonal liegende Spruch (Nr. 32) ist der Gegenspruch.

Skizze und Zitat von Michael Debus aus: Rudolf Steiner, Die Wochensprüche des anthroposophischen Seelenkalenders im Doppelstrom der Zeit beider Hemisphären, mit einem Nachwort herausgegeben von Michael Debus, 2. Auflage, Dornach/Schweiz 2000, S. 122 f.)

Die Zuordnung der Sprüche nach der Handschrift

Legt man demgegenüber die Zuordnung der Buchstaben nach der Handschrift zugrunde, lassen sich Spruch und Gegenspruch nicht mehr in jedem Fall anhand der Buchstaben ermitteln. Die Entsprechungen bleiben aber die gleichen, sodass die Kreiszeichnung von Debus dennoch verwendet werden kann. Die Nummern von Spruch und Gegenspruch haben immer die Differenz 26, die Summe der Nummern von Spruch und Spiegelspruch wiederum ist immer 53.

Die Zuordnung in einer Zeichnung Karl Königs

Karl König hat das Verhältnis der Sprüche zueinander und zum Jahreslauf und zu den christlichen Festen immer wieder in verschiedenen Zeichnungen dargestellt. Besonders eindrücklich erscheint mir die folgende Zeichnung. Die vier zusammenklingenden Sprüche sind jeweils auf einem Kreis dargestellt. Das Jahr wird aus 13 Kreisen gebildet, die die 13 Mondenumläufe innerhalb eines Jahres sind:

Die Wörter an den Kreisen:
Äußerster Kreis (bei zwölf Uhr beginnend, im Uhrzeigersinn): Johanni | Weihnacht | Neujahr | Sommer
Innerster Kreis: Ostern | Michaeli | Palmsonntag | Michaeli

Zweimal im Jahr durchläuft der Jahreslauf als Lemniskarte seinen eigenen Mittelpunkt; das ist während der Osterwoche und während der Woche, die zu Michaeli führt. Die Richtungen des Erdenlaufes sind zu diesen zwei Jahreszeiten so, daß sie aufeinander senkrecht stehen und damit die Figur des Kreuzes erbilden. Der waagerechte Balken wird zu Michaeli geformt, der senkrechte Balken zu Ostern.

Zu Ostern wird Himmel und Erde verbunden. zu Michaeli werden die kosmischen Kräfte dem Erdentod verbunden.

Zu Ostern ist das Wort Fleisch geworden.

Zu Michaeli soll das Fleisch Wort werden.

Karl König, Anleitungen zum Seelenkalender, Der Anthroposophische Seelenkalender als innerer Wandlungsweg, herausgegeben von Richard Steel, Stuttgart 2009, S. 84.

Soweit zum Aufbau des Seelenkalenders. Einzelne Aspekte sollen später noch in gesonderten Beiträgen vertieft.

(Beitrag verfasst am 24. Mai 2020, zuletzt geändert am 28. Juni 2020; graphisch überarbeitet am 29. Mai 2022)

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